Sie haben mir erzählt, dass jetzt alles anders ist, dass jetzt Krankheiten geheilt werden, dass man jetzt mit hoher Geschwindigkeit reist, dass die Menschheit Fortschritte gemacht hat und dass das Wohlbefinden zum Glück beiträgt. Auch du hast mir das erzählt. Als ich ihnen eine Frage stellte, erhielt ich eine Antwort. Dann habe ich aufgehört, Fragen zu stellen.
Sie haben mir gesagt, dass man das Vaterland lieben soll, dass man sich für das Vaterland opfern soll, dass man stolz auf seine Helden sein soll, dass man Gesetz und Ordnung achten soll, dass man die Verräter anzeigen soll, dass man die Feinde hassen soll. Auch du hast mir das gesagt. Als ich ihnen eine Frage stellte, erhielt ich eine Antwort. Dann habe ich aufgehört, Fragen zu stellen.
Sie haben mir gesagt, dass die Familie heilig ist, dass man seine Eltern achten soll, dass man ihnen dafür dankbar sein soll, dass sie einen erzogen haben, dass man ihnen gehorchen soll, dass man sie ungeachtet ihres Tuns und Handelns lieben soll. Auch du hast mir das gesagt. Als ich ihnen eine Frage stellte, erhielt ich eine Antwort. Dann habe ich aufgehört, Fragen zu stellen.
Dann haben sie mir gesagt, das solle ich tun, also habe ich keine weiteren Fragen gestellt und es getan. Dann haben sie mir gesagt, ich solle dorthin gehen, also habe ich keine weiteren Fragen gestellt und bin dorthin gegangen.
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Ich fragte dich: "Warum sind die Juden gemein?"
Du hast geantwortet: "Darum; das ist allgemein bekannt."
Da fragte ich dich: "Warum sind die Anarchisten gemein?"
Du hast geantwortet: "Darum; das weiß doch die ganze Welt."
Ich fragte dich: "Warum war Papa Jude?"
Du gabst mir keine Antwort.
Da fragte ich dich: "Warum war Papa Anarchist?"
Du gabst mir keine Antwort.
Ja, so war's.
Ich fragte dich: "Die Juden, sind das die, die Jesus umgebracht haben?"
Du sagtest: "Aber ja!"
Da fragte ich dich: "Die Anarchisten, sind das die, die Bomben legen, um Leute umzubringen?"
Du sagtest: "Aber ja!"
Ich fragte dich, ob ich als Erwachsener Jude sein würde.
Du sagtest: "Aber nein!"
Da fragte ich dich, ob ich als Erwachsener Anarchist sein würde.
Du sagtest: "Aber nein!"
Dann hast du hinzugefügt, Mama, dass ich gut sei, und hast mich umarmt.
Ja, so war's.
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Dies sind die beiden letzten Abschnitte aus Baal Babylone, einem 1959 veröffentlichten Roman von Fernando Arrabal. Baal Babylone ist bereits auf Deutsch erschienen; die obige Übersetzung stammt jedoch von mir.
Arrabal wurde 1932 in Melilla geboren, lebt seit 1955 in Frankreich und schreibt französisch. Am bekanntesten wurde er als Dramatiker, der dem absurden Theater zugerechnet wird. Werke: Pique-nique en campagne, dt. Picknick im Felde (1958), Oraison, dt. Gebet (1958), Les deux bourreaux, dt. Die beiden Henker (1958), Fando et Lis, auch dt. (1958), Le cimetière des voitures, dt. Autofriedhof (1958), L'Architecte et l'Empereur d'Assyrie, dt. Der Architekt und der Kaiser von Assyrien (1967), Le jardin des délices, dt. Der Garten der Lüste (1969) u.a.
Arrabal führte bei dem surrealistischen Film Viva la muerte Regie, der auf Baal Babylone basiert. Dies ist vermutlich der Grund, warum auf dem Umschlag der 1971 bei 10|18 in Paris erschienenen Taschenbuchausgabe des Romans der Titel Viva la muerte steht.
Johannes Beilharz, Mai 2001