Gedichte von Wilhelm Hasse

   

Artenschutz

   

Kein Artenschutz

für Worte

auf der Abschussliste.

Die Treiber klopfen

auf den Busch mit Sprüchen,

verscheuchen leise Laute

mit Geschrei.

In Zwischentönen

überwintern sie,

misstrauen Jägers lockendem Latein

und seinem Märchen

von der Flint im Korn.

   

   

   

Feierabend

   

Zu Hause lungert

noch der Morgen

vor halbleerer Tasse,

überflogenem Journal,

gefüllt mit Fußball, Auto,

Ekel, pfiffigem Elan.

Pflock den Feierabend an!

Streich Weisungen

aus Aug und Stirn!

Verharre still vor Hasenkeule,

bei Pfeife, Bier

und Tagesschauer.

Verschnauf!

Die Jagd geht morgen weiter,

Spurensuche

auf der Fährte

der waidwunden Welt.

   

   

   

Für Majie

   

Redensarten meiner Liebe

nachts, ohne Lichter,

im Boot der Bedeutung

zur Fahrt gerüstet

in Hoheitsgewässer

der Zukunft.

Schreibmaschinen blättern

errötend

in Erklärungen an Majie.

Erbetener Segen:

Geh Hand in Hand

mit meiner Rede

zum Hafen, zum Fang!

Schneide ab das Wort

dem fauchenden Fisch,

und die schwarzen Laute

zerstampf

mit dem Fuß!

   

(Nach einem Text von Ernst v. Salomon, in: „Glück in Frankreich")

   

   

   

Hinterher

   

(zum Jahrtausendwechsel)

   

Im Kaffeegrund

versinken die Orakel,

und die Propheten widerrufen

Wort für Wort.

Dreh dich nicht um!

Zu spät, um nachzukarten!

Was heute zählt, harrt

auf dem Kerbholz

scharfer Klinge.

Es sind der Scharten viele,

viele ungewetzt.

   

   

   

Im Garten

   

Im Garten ein Sofa

plüschversonnen

zeitvergessen

eingesponnen.

Daraus sprießt Petersilie

und Majoran und Lilie

und eine Feder

rausgesprungen

die sinnt

im Wind

was längst verklungen.

   

   

   

Hinterhof

   

Über dem Giebel

reißen Wolken sich los

vom Kamin,

finden das Weite.

Unten im Hof

hält ein Streit

den Atem an,

stockt eine Schmach.

Libellenstille.

Kannst du dein Wort

im Mund behalten,

solang das Lamm

am Himmel geht?

   

   

   

Kehraus

   

Nach Mitternacht

fällt dein Gesicht,

gerät beim letzten Tanz

dein

Lachen

aus

dem

Tritt.

Du hast gewusst,

dass die Musik

den Kehraus spielt

schon

seit

dem

ersten

Takt.

   

   

   

Lex Egomania

   

ICH hab gehobelt,

doch ich

hinterlasse keinen Span.

Dort, wo mein Licht glänzt,

fällt kein Schatten.

Und wem ich eine Grube grab,

leg ich hinein.

ICH lasse Lug und Trug

auf hohen Stelzen gehen,

hack anderen Krähen

beide Augen aus

und kehr an einen Tatort

nie zurück.

ICH sehe so mein Unrecht Gut gedeihen,

mein Gras klammheimlich drüber wachsen.

Und was zum Himmel stinkt,

stört’s mich auf Erden?

ICH hab zuerst gelacht –

ICH lach so weiter!

   

   

   

Inventur

   

Im Vorratsschrank

fehlt manche Tasse.

Kein Deckel mehr für jeden Topf.

Worthülsen rosten im Besteck,

nicht mehr der Rede wert.

Weinwahrheit ist versiegt,

verkorkt die Lese letzten Herbsts.

Im Müll ein sperriger Gedanke,

schon bald entsorgt.

   

   

   

Schatzsuche

   

Wortschatz im Uferlosen,

gleich nach der Redewindung

vor dem Schwall,

wo sich Gedankengänge

überschneiden.

Vor Zungenbrechern

wird gewarnt,

wenn dir die Ohren

unterm Tonfall klingen.

Am Kreuzwort

lauert lechzend längst

der Reißwolf

zwischen leeren Zeilen.

Nur die Umschreibung

führt an ihm vorbei.

   

   

   

SprachLos

   

Laute verwundet.

Silben vermisst.

Sterbensworte

für mundtot erklärt.

Gedankensplitter im Kopf.

Inoperabel.

   

   

   

Depesche

   

Papierkriegserklärung:

Ab sofort wird

zurückgeschrieben.

Vorgeschoben:

Schwerstes Geschwätz.

Im Angriff jetzt:

Schlammheimliche Schwadrone.

Für Federleser

schlechte Zeiten.

Befangene erhalten

kein Pardon.

   

   

   

Fragebogen

   

Vorzimmersilben fordern:

Holzfrei denken!

Halbwahrheit sagt sich danach

wie gedruckt.

Begradigt werden

auf dem Dienstweg Lebensläufe.

Nasführungszeichen

leiten durch das Labyrinth.

Im Sprung von Satz zu Satz

verliert die Hand

den Faden.

   

   

   

Ausverkauf

   

Solang der Vorrat reicht

noch einmal reduzierte Worte,

dazu den Schlussreim

gratis heut

im Sparpaket.

Jetzt noch die letzten Verse,

auch Einsilbiges

für den Gedanken zwischendurch.

Wir räumen auf

mit Aussage und Gegenstand,

verscherbeln gründlich

Satz für Satz

zum Schleuderpreis.

Dazu die Restbestände

Wort für Wort

auf Punkt und Komma

kalkuliert.

Und in die leergefegten Lager

rückt schneidig ein

die neue Kollektion.

   

   

   

© Wilhelm Hasse 2001 E-Mail

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