Mercè Rodoreda wurde 1909 in Barcelona geboren. Ihre ersten Bücher erschienen bereits in den dreißiger Jahren. Dann, nach dem Bürgerkrieg, begann ein fast zwanzigjähriges Schweigen: die Autorin lebte in Paris, Bordeaux und später in der Nähe von Genf im Exil. 1962 publizierte sie den Roman Auf der Plaça del Diamant, dem zwei weitere Romane und zahlreiche Erzählungen folgten. Mercè Rodoreda starb 1983 in Romanyà de la Selva.
Auf der Plaça del Diamant (Roman, 1987)
Reise ins Land der verlorenen Mädchen (poetische Prosastücke, 1980)
Der zerbrochene Spiegel (Roman, 1982)
Der Fluß und das Boot (Erzählungen, 1986)
Alle vier Bücher erschienen beim Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M.
Dieser Roman der katalanischen Autorin Mercè Rodoreda erzählt die Lebensgeschichte von Colometa, einer Frau aus dem Volke. Als junges Mädchen verliebt sie sich bei einem Tanz auf der Plaça del Diamant in ihren späteren Mann Quimet. Sie verloben sich, sparen sich das Geld für die bescheidene Wohnung zusammen und heiraten. Colometa bekommt zwei Kinder und muß sie mühevoll großziehen, da sich ihr Mann, ein Aushilfsschreiner und privatisierender Taubenzüchter, als Nichtsnutz erweist. Colometa verdingt sich als Dienstmädchen bei einer Herrschaft. Als ihr Mann auf selten der Volksfront in den Spanischen Bürgerkrieg zieht und fällt, lassen Hunger und äußerste Verzweiflung Selbstmordpläne in ihr reifen. Doch die neuerliche Ehe mit einem zum impotenten Krüppel geschossenen Kriegsveteranen und Kolonialwarenhändler rettet sie und die Kinder. Mit der Hochzeit ihrer Tochter Rita, in einer anders gewordenen Zeit, schließt sich der Kreis dieses Lebens.
»Wer weiß etwas von der katalanischen Literatur, wer kennt den Namen Merce
Rodoreda? Aber man braucht nichts zu wissen und nichts zu kennen, man muß nur
anfangen zu lesen, und man wird sich der stillen Suggestion dieser Geschichte
und dieser Autorin nicht entziehen können. Mit der kunstvollsten
Unaufdringlichkeit überredet einen Seite für Seite. (. . .) Ihre Geschichte
erzählt Colometa selbst, so wie sie sie erlebt hat, als ein Mädchen, das zwar
Lesen und Schreiben gelernt hat, aber sonst kaum etwas. Sie weiß nicht, was
Liebe ist, was Sexualität ist, was Politik ist, und sehr viel davon wird sie
nie erfahren. Sie erklärt nichts, spricht immer nur von dem, was gerade war,
ganz ruhig, ganz monoton, mit zwanghaften Wiederholungen, ein Opfertier, eine
Opfertaube.
So viele Männer haben so viele Bücher über diesen Bürgerkrieg geschrieben,
ihn genau oder pathetisch geschildert. Bei Merce Rodoreda geschieht er einfach,
und er geschieht den Menschen, die nichts anderes als Frieden und ein
bißchen Freude im Leben haben wollten und in so ein Stück Geschichte
verwickelt werden mußten. Die Zerstörungen, die der Bürgerkrieg
angerichtet hat, werden nicht als Zerstörungen
auf den Schlachtfeldern nachgemalt, sondern als Zerstörungen von Menschen
erkennbar. Sie werden so aufrichtig geschildert, daß der Leser am Ende, ohne
ein einziges großes Wort, ohne auch nur die geringste Liebeserklärung für die
Republikaner, den geringsten Haßausbruch gegen die Faschisten, ohne jede
Andeutung der verschiedenen Positionen, schockartig erkennt, wie und was das
ist, wenn man in ein solches Stück
Geschichte verwickelt wird.«
Walter Boehlich, Lit
Zusammengestellt von Johannes Beilharz im März 2002