Johann Wolfgang Goethe /
Rudolf Stirn

Faustomachie

Faust
Faustopheles und Antiphist

Auszug aus der Studienausgabe

 

Stirn: Faustopheles und Antiphist

Goethe: Faust

Femina: O hört, o hört das Gewimmel!

Man hört aus dem Innern Kettenklirren und Ächzen.

Ihr Büßer, ich hab euch rufen hören! Ihr seid frei, sollt nie mehr entbehren.

O Stein des Grals, will dich wiegen,

Zu deinen Füßen liegen!

Du schufst Rettung uns, an deiner Schwelle

Endet das Heulen und Klagen der Hölle.

Man hört Singen

Hört den himmlischen, herrlichen Ton:

Das All ist des Höchsten, des Liebenden Thron!

Faust.: (zum Himmel blickend): O, bin ich?

Femina: Du bist! Vorbei ist alle Qual!

Sie umfaßt ihn

So ist's! So ist's! O wunderbarer Gral!

Dahin die Angst des Ghettos, die Ketten

Vernichtet in allen Städten:

Wir sind gerettet!

Nun ist der große Friede da,

Ist alle Welt bekehrt, dem Grale nah,

Die Erd' ein heil'ger Garten!

Sie führt ihn zu den Frauen

Faust.: (mit bittender Geste sich ihnen nähernd):

Verzeiht! 's ist Fried'!

Frauen im Ghettogewand: Zum Heile

Wallten wir von fern, das du nun teilest.

Faust.: (sie umarmend): Teilet!

Wenn ihr's nicht teiltet,

Würd' ich's wie Feuer büßen müssen.

Femina: Wie's mich brennt, dich zu küssen!

Sie zieht ihn an sich

Mein Freund, so kurz von mir entfernt,

Hast du mich zu küssen verlernt?

So stumm ward ich an deinem Halse, so bang,

Wie's jüngst aus deinen Worten, deinen Blicken

Wie mit fremder Stimme in mich drang!

Als du mich küßtest, schien's, als wollte ich ersticken!

Küsse mich! Sonst küß ich dich!

Sie küßt ihn

Sie springt auf. Die Ketten fallen ab.

O weh, deine Lippen sind kalt,

Sind stumm!

Wo ist dein Lieben

Geblieben?

Wer brachte mich drum?

Sie läßt von ihm ab. Faustopheles weicht zur Seite

Faust.: Stumm? Wehe mir! Liebe, fasse Mut!

Noch schmerzt es mich mit tausendfacher Wut.

Die Wolke drückt mich, bitte dich um Frist!

Femina: 

Wo ist dein Sinn? O, weißt du, wo du bist?

Faust.: Mit dir im Bett!

Femina: O, mach die Fesseln los!

Nimm wieder mich, nimm meinen Schoß!

Wie kommt es, daß du dich vor mir jetzt scheust?

Und weißt du denn, mein Freund, was du bereust?

Faust.: In meinem Sinn ist tiefe Nacht.

Femina: Die Vermutung plagt dich, der Verdacht.

Ein Kind wird uns geschenkt.

War's nicht von dir, wärst du gekränkt.

Ja, doch! Du bist's, ich glaub' es kaum.

Gib deine Hand! Ein böser Traum!

Unsrer Liebe Band, bricht, Lieber, es so leicht?

Löscht sie der aus, der bezeugt:

's ist fremdes Blut!

War nicht alle Brut

Fremd, die euren Segen fand? Sag nein,

Ich bitt dich drum!

Faust.: Laß das Vergangene vergangen sein!

Du bringst mich um!

Frauen im Ghettogewand: O, wie muß Liebe leiden!

Nicht will sie erheben die beiden.

Für sie laßt uns sorgen!

Lichtmorgen

Soll bitteren Resten vergeben,

Gram und Wut sollen verebben.

Laßt ein wenig euch Zeit,

Zur Erfahrung bereit!

Und es eine euch dann die rechte Lust.

Zu Femina

Kein Mann wird sonst bei dir liegen,

Sanft an deine Seite sich schmiegen.

Das wird ein süßes, ein holdes Glück.

Zu Faustopheles

Dir ist's, als müßtest dich zu ihr zwingen,

Als stieße dich etwas von ihr zurück.

Doch es wird gut und glückt, die Glut, sie kommt.

Faust.: Fühlst du, wie es uns bindet, frommt?

Femina: Ja, ich sinn's aus.

Faust.: In Treue?

Femina: Über's Grab hinaus.

Lauert dir Tod, ich komm

Mit dir ins ewige Ruhebett,

Tu ohne dich keinen Schritt!

Dies sei mein Wort! Bin dein, o nimm mich mit!

Faust.: (zu sich selbst): Wohlan, so wolle nur! Die Tür steht

offen!

Er zieht sie an sich

Femina: Es trieb dich fort. Für mich war nichts zu hoffen.

Was half es, fliehn? Sie lauerten mir auf.

Mir war so elend, im Bett zu müssen.

Es kroch über mich mit bösem Gewissen.

Wie gier'ge Hände mir's Hemd abstreifen:

O, ich werde es nie begreifen!

Faust.: Ich bleibe bei dir!

Femina: O Kind! Dein Kind!

Hielte mein Arm das Kind!

Dort immer der Blick

In Nacht hinauf!

O, wie erstickt,

Im Ghetto allein!

Blinkt der Gedanke, weht

Herab, macht mich reich:

Ein Kind! Ich faß es nicht gleich.

Ein Kind soll sich heben,

Zappeln im Bauch!

Das Weib ich rette!

Faust.: Wie blind bin ich doch!

Durch deinen Schritt wurden wir frei!

Frauen im Ghettogewand:

Wir flohen her zur Burg, ohn' Treu.

Dort saß sie, wollt' Mutter im Ghetto sein.

Es faßte uns kalt beim Schopfe!

Es blitzten die Wetter, sie saß allein

Und flocht an einem Zopfe.

Sie weicht nicht, erschrickt nicht, das Herz ist ihr schwer,

Sie rief den Himmel als Schild und Wehr,

Sie rief, wollt' Rettung erstreiten.

Es waren schreckliche Zeiten!

Faust.: Es half ihr Flehen, es half ihr Klagen.

Es konnt' der Himmel nicht Rettung versagen.

Femina (erblickt im Hintergrund Antiphist):

Hört mich, Fraun! Dort steht des Retters Gestalt!

Sprach mich im Licht so brüderlich an.

Uns hat er ja alles zuliebe getan!

Faust.: Der Tag graut. Zur Liebe, Liebste!

Femina: Tag, ja, es wird Tag! Ein neuer Tag tritt ein!

Ein Hochzeitstag soll es sein!

Sag niemand, daß er schon bei Menschen war:

In keinem Lande

Ist je solches geschehn.

Wir werden nun Frieden sehn,

Wie ihn keiner kannte.

Die Menschheit freut sich, sie kehrt ins Licht.

Es können die Straßen

Die Massen nicht fassen,

Der Glocken Rufe enden nicht.

Wie sie verkünden und schlagen!

Was blutig sich einst hat bekriegt,

Nun beugt sich froh jeder Nacken,

Jede Nerve ist dankbar entzückt.

Stumm sinkt die Kälte ins Grab.

Faust.: O Welt, wie neu geboren!

Antiph.: (er tritt unter sie, zeigt in die Höhe):

Schaut! Wie über Sternentoren

Des blitzenden Wagens Räder zaudern,

Die Sonnenpferde leise schaudern:

Der Morgen dämmert auf!

Femina: Dunst steigt aus den Wiesen herauf

Zu dem heiligen Ort.

Wie still es ist an des Grales Pfort'!

Erruft mich...

Faust.: Unser Leben!

Femina: Zerbrochenen Schlüssel dir zu übergeben.

Sie hebt die zerbrochenen Teile auf

Antiph.: (zu Faustopheles):

Nimm! Nimm! Des Maßes Kraft nicht aus ihm wich.

Femina: (gibt Faustopheles den Schlüssel, 

dessen Teile sich verbunden haben):

Heil ist er wieder! Heil durch dich,

O heil'ger Gral. Wird uns bewahren,

Bewahrt uns nunmehr, hilft uns zu bewahren,

Was sich bewahrt in dir!

Antiph.: So ist's berichtet.

Die Pforte zum Gral springt auf

Stimme von innen:

Von dir gerettet!

Antiph.: (streckt die Arme aus nach Faustopheles und Femina):

Her, zu mir!

Er legt ihre Hände ineinander

Stimme von innen:

Ewig einig!

Margarete (aufmerksam): Das war des Freundes Stimme!

Dann tiefe Stille.

Wo ist er? ich hab ihn rufen hören.

Ich bin frei! mir soll niemand wehren.

An seinen Hals will ich fliegen,

An seinem Busen liegen!

Er rief: Gretchen! Er stand auf der Schwelle.

Mitten durchs Heulen und Klappen der Hölle,

   

Durch den grimmigen, teuflischen Hohn

Erkannt ich den süßen, den liebenden Ton.

Faust: Ich bin's!

Margarete: Du bist's! O sag es noch einmal!

(Ihn fassend.)

Er ist's! Er ist's! Wohin ist alle Qual?

Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten?

Du bist's! Kommst, mich zu retten!

Ich bin gerettet!

Schon ist die Straße wieder da,

Auf der ich dich zum ersten Male sah.

Und der heitere Garten,

Wo ich und Marthe deiner warten.

Faust (fortstrebend):

Komm mit! Komm mit!

Margarete: O weile!

Weil ich doch so gern, wo du weilest. (Liebkosend.)

Faust: Eile!

Wenn du nicht eilest,

Werden wir's teuer büßen müssen.

Margarete: Wie? du kannst nicht mehr küssen?

   

Mein Freund, so kurz von mir entfernt,

Und hast's Küssen verlernt?

Warum wird mir an deinem Halse so bang?

Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken

Ein ganzer Himmel mich überdrang,

Und du mich küßtest, als wolltest du mich ersticken.

Küsse mich! Sonst küß ich dich!

Sie umfaßt ihn.

    

O weh! deine Lippen sind kalt,

Sind stumm.

Wo ist dein Lieben

Geblieben?

Wer brachte mich drum?

Sie wendet sich von ihm.

Faust: Komm! Folge mir! Liebchen, fasse Mut!

Ich herze dich mit tausendfacher Glut,

Nur folge mir! Ich bitte dich nur dies!

Margarete (zu ihm gewendet):

Und bist du's denn? Und bist du's auch gewiß?

Faust: Ich bin's! Komm mit!

Margarete: Du machst die Fesseln los,

Nimmst wieder mich in deinen Schoß.

Wie kommt es, daß du dich vor mir nicht scheust? -

Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreist?

Faust: Komm! komm! schon weicht die tiefe Nacht.

Margarete: Meine Mutter hab ich umgebracht,

Mein Kind hab ich ertränkt.

War es nicht dir und mir geschenkt?

Dir auch. - Du bist's! ich glaub es kaum.

Gib deine Hand! Es ist kein Traum!

Deine liebe Hand! - Ach, aber sie ist feucht!

Wische sie ab! Wie mich deucht,

Ist Blut dran.

Ach Gott! was hast du getan!

Stecke den Degen ein,

Ich bitte dich drum!

Faust: Laß das Vergangne vergangen sein,

Du bringst mich um.

Margarete: Nein, du mußt übrig bleiben!

Ich will dir die Gräber beschreiben,

Für die mußt du sorgen

Gleich morgen;

Der Mutter den besten Platz geben,

Meinen Bruder sogleich darneben

Mich ein wenig bei Seit,

Nur nicht gar zu weit!

Und das Kleine mir an die rechte Brust.

   

Niemand wird sonst bei mir liegen! -

Mich an deine Seite zu schmiegen,

Das war ein süßes, ein holdes Glück!

Aber es will mir nicht mehr gelingen;

Mir ist's, als müßt ich mich zu dir zwingen,

Als stießest du mich von dir zurück;

Und doch bist du's und blickst so gut, so fromm.

Faust: Fühlst du, daß ich es bin, so komm!

Margarete: Dahinaus?

Faust: Ins Freie.

Margarete: Ist das Grab drauß,

Lauert der Tod, so komm!

Von hier ins ewige Ruhebett

Und weiter keinen Schritt -

Du gehst nun fort? O Heinrich, könnt ich mit!

Faust: Du kannst! So wolle nur! Die Tür steht offen.

    

Margarete:

Ich darf nicht fort, für mich ist nichts zu hoffen.

Was hilft es, fliehn? Sie lauem doch mir auf.

Es ist so elend, betteln zu müssen,

Und noch dazu mit bösem Gewissen!

Es ist so elend, in der Fremde schweifen,

Und sie werden mich doch ergreifen!

Faust: Ich bleibe bei dir.

Margarete: Geschwind! Geschwind!

Rette dein armes Kind!

Fort! immer den Weg

Am Bach hinauf,

Über den Steg,

In den Wald hinein,

Links, wo die Planke steht,

Im Teich.

Faß es nur gleich!

Es will sich heben,

Es zappelt noch!

Rette! rette!

Faust: Besinne dich doch!

Nur einen Schritt, so bist du frei!

Margarete:

Wären wir nur den Berg vorbei!

Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,

Es faßt mich kalt beim Schopfe!

Da sitzt meine Mutter auf einem Stein

Und wackelt mit dem Kopfe;

Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer,

Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.

Sie schlief, damit wir uns freuten.

Es waren glückliche Zeiten!

Faust: Hilft hier kein Flehen, hilft kein Sagen,

So wag ich's, dich hinweg zu tragen.

Margarete:

Laß mich! Nein, ich leide keine Gewalt!

Fasse mich nicht so mörderisch an!

Sonst hab ich dir ja alles zu Lieb getan.

Faust: Der Tag graut! Liebchen! Liebchen!

Marg.: Tag! Ja, es wird Tag! der letzte Tag dringt herein:

Mein Hochzeittag sollt es sein!

Sag niemand, daß du schon bei Gretchen warst.

Weh meinem Kranze!

Es ist eben geschehn!

Wir werden uns wiedersehn;

Aber nicht beim Tanze.

Die Menge drängt sich, man hört sie nicht.

Der Platz, die Gassen

Können sie nicht fassen.

Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht.

Wie sie mich binden und packen!

Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt.

Schon zuckt nach jedem Nacken

Die Schärfe, die nach meinem zückt.

Stumm liegt die Welt wie das Grab!

Faust: O wär ich nie geboren!

Mephistopheles (erscheint draußen):

Auf! oder ihr seid verloren.

Unnützes Zagen! Zaudern und plaudern!

Mein Pferde schaudern,

Der Morgen dämmert auf.

Margarete: Was steigt aus dem Boden herauf?

Der! der! Schick ihn fort!

Was will der an dem heiligen Ort?

Er will mich!

Faust: Du sollst leben!

Margarete: Gericht Gottes! dir hab ich mich übergeben!

   

Mephistopheles (zu Faust):

Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich.

Margarete:

   

Dein bin ich, Vater! Rette mich!

Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen,

Lagert euch umher, mich zu bewahren!

Heinrich! Mir graut's vor dir.

Mephistopheles: Sie ist gerichtet!

   

Stimme (von oben):

Ist gerettet!

Mephistopheles (zu Faust):

Her zu mir!

Verschwindet mit Faust

Stimme (von innen, verhallend):

Heinrich! Heinrich!

   

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Rudolf Stirn.

Copyright © 1999 Rudolf Stirn / Alkyon Verlag   

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