Pablo Antonio Cuadra

Der Jaguar & der Mond

Aus dem Spanischen übersetzt von Johannes Beilharz

 

Der Jaguar-Mythos

Der Regen, das älteste Geschöpf
-- älter als die Sterne -- sagte:
'Es werde Moos, das fühlt und lebt.'
Und so entstand sein Fell; aber
der Blitz schlug seinen Feuerstein und sagte:
'Es werde seine Tatze.' So entstand die Klaue
mit ihrer in einer Liebkosung versteckten Grausamkeit.

'Er bewege sich -- sagte dann der Wind,
auf seiner Okarina blasend -- im Rhythmus
der Brise.'
              Und sein Gang war
wie die Harmonie, wie das Maß, mit dem die Götter
unseren Tanz vorwegnahmen.

Aber das Feuer sah dies und hielt es auf:
Und ging zu dem Ort, an dem 'ja' und 'nein' sich teilten
-- an dem die Schlange ihre Zunge spaltete --,
und sagte: 'Sein Fell sei aus Schatten und aus Licht.'

Und sein Königreich war der Tod, undeutlich
und blind.
              Aber die Menschen lachten. 'Verrückt'
nannten sie die beklemmende Dualität,
die Vereinigung von Verbrechen und Zufall.

Noch nicht die Notwendigkeit mit ihrem schroffen Gesetz
(nicht der Mond, der von der Erde zum Stillen ihrer
                                   hungrigen Nächte aufgefressen wird,
nicht der Schwache, dessen Blut den Ruhm des Starken nährt),
sondern das die Vernichtung ordnende Mysterium. Das Glück,
das Geschick, das der Gerechtigkeit die Augen verbindet -- 'Götter! --
riefen die Rebellen -- 'Wir werden in den Sternen
die verborgenen Gesetze des Schicksals lesen.'

Und das Wetterleuchten hörte in seiner schlaflosen Blässe
ihr Geschrei. -- 'Wehe den Menschen!' -- sagte es
und entzündete in den leeren
Augenhöhlen des Jaguars
das schreckliche Abbild eines Sterns.

 

Die Geburt der Sonne

Ich habe neue Welten erfunden. Ich habe Nächte
aus unaussprechlichen Stoffen erträumt.
Ich habe strahlende Sterne erschaffen, zarte Sterne,
halb geschlossenen Augen ähnlich.

            Niemals jedoch
werde ich jenen ersten Tag wiederholen, als unsere Väter
mit ihren Stämmen aus dem feuchten Dschungel traten
und gen Osten sahen. Sie hörten das Brüllen
des Jaguars. Den Gesang der Vögel. Und sie sahen
einen Menschen sich erheben, dessen Gesicht brannte.
Einen jungen Mann mit strahlendem Gesicht,
dessen leuchtende Blicke die Sümpfe trockneten.
Einen hochgewachsenen, brennenden Jüngling mit flammendem Gesicht.
Dessen Gesicht die Welt erleuchtete.

 

Der Verzweifelte zeichnet eine Schlange

Ich stieg bei Mondaufgang
den Hügel hinauf.

Sie schwor, daß sie auf dem
südlichen Weg kommen würde.

Ein dunkelfarbiger Sperber
trug den Pfad
in seinen Klauen davon.

 

Die Welt ist ein runder irdener Teller

Ein argwöhnisches Schicksal umkreist unsere Götterspeise.
In allen Himmelsrichtungen lauern gierige Bestien:
Im Osten trachtet die Fledermaus nach deinem Schatten.
Im Westen stellt das Krokodil deinem Geheimnis nach.
Im Süden löschen die Adler deine Geschichte aus,
und im Norden verfolgt der Jaguar den Stern deiner Zukunft.
Ach sagt mir doch,
Wer kann mein Innerstes bewahren?

 

Urne mit politischem Profil

Der Führer schweigt
-- (ich zeichne sein schweigendes Gesicht).

Der Führer ist mächtig
-- (ich zeichne seine starke Hand).

Der Führer führt die Bewaffneten an
-- (ich zeichne die Schädel der Toten).

 

Geheimnis der brennenden Sterne

für Mario Cajina-Vega

Ihm, der für die Freiheit kämpfte,
wurde ein Stern geschenkt, dem der leuchtenden,
bei der Geburt gestorbenen Mutter benachbart.

-- War dein Schmerz groß? -- fragte
der Krieger.
                 -- Nicht so groß wie die Freude,
der Welt einen neuen Menschen zu schenken.
-- Und deine Wunde -- sagte sie --
war sie tief und qualvoll?
                                          -- Nicht so sehr
wie die Freude, dem Menschen eine neue Welt zu schenken.

-- Und lerntest du dein Kind kennen?
                                                 -- Niemals!
-- Und kanntest du die Früchte deines Kampfes?
                                                                           -- Ich starb vorher.
-- Schläfst du? -- fragte der Krieger.
-- Ich träume -- erwiderte die Mutter.

 

Der Schmerz ist ein an deinen Namen angekrallter Adler

Wessen ist mein Schmerz, wenn ich ihn verjage
und er doch mir gehört? Ich trage
auf meiner Schulter den Adler, und sein Auge
macht an meinem Namen das Sein fest. Aber ich bin
auch der Andere, der vor seiner Kralle flieht, und trage
den Adler auf meiner Schulter. Freiheit
ist Qual.
             In mein Fleisch geschlagen,
weckt mich seine Kralle auf,
um mir bewußt zu machen, daß ich lebe.

Aber sein Schrei ist tödlich.

 

Der Blick ist ein in der Ferne heulender Hund ...

König Jaguar entsandte zu meinen Augen
zwei wütende Hunde.
                                    Er wußte, daß der Dichter
ein Jäger magischer Vögel, Seher
unsichtbarer Spuren,
fahrender Bogenschütze war.

Aber, sagte ich -- nach dem Ende meiner Jugend -- zu dem perversen Zauberer:
'Lege meine Hunde in Ketten. Ich bin erschöpft
und will mich unter den Bäumen ausruhen.'

-- 'Laß sie -- gab er zurück --. Sie werden sich
in die Knöchel der Göttin verbeißen, die dich verläßt.
Meine Schwester, die befleckte Mondin, freut es,
wenn ein müdes Herz sich sputet.'

 

Becher mit Jaguar zum Anstoßen

Er prägte in den Lehm seinen feindseligen,
dabei jedoch harmonischen Stempel ein,
und ich gebe mit Ton und Blut
auf dieser Amphore
die Klaue wieder!
Ein Bündel Wut
umklammert die Erde
für den Wein des trunkenen Zufalls,
den dein Tod feiert!

 

Klage eines Mädchens zum Tode des Kriegers

Seit alten Zeiten
weint der Regen.
                           Und doch
ist die Träne jung,
jung der Tau.

Seit alten Zeiten
macht der Tod die Runde.
                                          Und doch
ist deine Stille neu
und neu mein Schmerz.

Pablo Antonia Cuadra
El Jaguar y la luna / The Jaguar & The Moon
Zweisprachige Ausgabe, englische Übersetzung von Thomas Merton, erschienen bei Unicorn Press, Greensboro, North Carolina, 1974.

Die Gedichte in El jaguar y la luna entstanden 1958-1959 in Managua, Nicaragua, und wurden mit dem Rubén Darío-Literaturpreis ausgezeichnet. Die englische Übertragung der Gedichte, die zu Vergleichszwecken bei der Übersetzung ins Deutsche herangezogen wurde, stammt von Thomas Merton und datiert von 1960. Sie wurde 1963 erstmals in Emblems of a Season of Fury, New Directions Publishing Company, New York, veröffentlicht. Copyright © der deutschen Übersetzung Johannes Beilharz 2000.

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