Einige Gedichte von
Yvan Goll

 

Mond

I

Wie unerbittlich aber schwellest du
kleiner Modistinnen einsames Herz
und polternder Klaviere Himmelssehnsucht.

Wie unerbittlich streutest du dein Leuchten
in dunkelnde und fröstelnde Alkoven
und hinters Gitter der Gefangenen.

Aus der entbrannten Hölle ihres Herzens
schrien die Menschen und verzweifelten
und rissen sich die Brust im Irrsinn auf
und starben dran, daß du so schön gewesen.

II

Und als du plötzlich, wie ein wunder Vogel,
vom Himmel flattertest und deine Flammen
in roten Federn niederfallen ließest:

Wie gräßlich fuhr dein Strahl über die Erde!
Die Tiere hatten Phosphor in den Augen,
die Häuser brannten ab wie Scheiterhaufen.

Die Menschen, die um dunkle Plätze irrten,
Apachen und Kokotten und Gendarmen,
sie glaubten wie Indianer an dein Sterben
und feierten den Tod in dieser Nacht.

III

Wie sollten wir dich anders denn verstehn,
o roter Mund, der sündig sich verzerrte;
wir Schmachtenden, auf stummer Erde hockend!

Kalt in Mansarden warfst du dein Gemecker,
und über die verstummten Krankensäle
ließest du goldne Lerchen zwitschern.

Wir alle standen an die Welt gekreuzigt
und mußten dich mit unsern Augen schaun,
und mußten an den Schmerz und an das Sterben glauben
und mußten doch noch immer weiter hoffen!

IV

Und eines Nachts troff Blut auf unser Antlitz:
Dein Blut, zu unsres Krieges Blut gemischt,
rann um die Erde wie ein runder Ring.

Verwundete, tiefkniend bei Kartätschen,
aufschäumten ihre Lippen von dem Roten,
und Sterbende ersoffen an dem Trank.

Es war kein Heil im Himmel noch auf Erden:
Wir mußten unsre Häupter tief vergraben,
wir mußten unsre Lieben tief verschütten,
und klagten, daß wir eher nicht gestorben.

V

Doch da, als Tänzer und geschminkte Maske,
befreitest du die Gräber. Säulen barsten,
der Marmor klirrte, Kränze lösten sich.

Aus deinem Schwelen gläsern stieg ein Christ,
und blau bemalte, blecherne Marien
erstrahlten mitten in Geranientöpfen.

O Tänzer, der die Toten all erlöste,
indessen wir in Schutt und Schmerz und Schlaf
hinschnarchten und ein Glück verschmähten:
Die Toten lebten und wir waren tot.

 

Reise ins Elend

Wie aber schmerzt die Menscheneinsamkeit,
wenn Landschaften mit gleichem Leid wie du sich von dir wenden
und in sich selbst versinken, dir so fremd!
Wenn klein ein Bahnhof dich in kalten Regen stößt,
ein Güterwagen leer und ohne Zukunft dich anbettelt.
Da kriecht ein fahler Gaul auf dunklem Acker,
oh, wenn der wüßte, daß du existierst
und du ihn liebst, ihm würden Flügel blau zum Himmel wachsen.
Manchmal schaut Wasser auf zu dir mit großen Augen,
und weil es nicht dein Lächeln sah,
fällt freudlos es und schal in sich zurück.
So läßt du alles dort allein. Es reißt dein Schicksal dich dahin.
Die alte Bucklige am Damm wird ewig nach dir blicken,
untröstlich steht das schreiende Plakat am schiefen Giebel.
So läßt du alles dort allein in unerfüllter Liebesdemut
und weißt es doch, daß, Einsamer, dich eine Stadt erwartet,
in der du weinen wirst die lange Nacht im billigen Hotel.

 

Trauermarsch

Was bin ich immer in den Leichenzügen,
vom Regen hingepeitscht, von Rabenflügen
umweht, und schaue alte irre Witwen tanzen,
und Nonnen beten still, und Knaben halten lachend die Monstranzen.
Was bin ich immer bei den Zweifelhaften,
bei Toten und Verwünschten, die am Krame haften,
im kalten Regenwind der Einsamkeiten!
Was hör ich immer dumpfe Särge in die Erde gleiten,
Kirchtürme rasen wie gegeißelt um den Himmel immer,
in jeder Gasse hockt ein bettelndes Gewimmer:
Mein Leben ist ein Regnen und ein Klagen,
ein langes Sterben von Novembertagen.

 

Ode an den Herbst

Zweite Fassung

Warum zerreißen die Ulmen
Schon ihr Gewand
Und schlagen um sich mit den Armen
In irrer Besorgnis?
Des Sommers goldene Ruhe
Hat sie verlassen.
Verloren sind die Schlüssel
Die Schlüsselblumen des Glücks
Im grauen Grase,
Und schon vergessen
Verklingen im Abgrund
Die Schwüre der Liebe.

Der große König
Der seltsam Wissende
Herrscher des Waldes
Er gibt den Kampf auf
Gegen die Wolken,
Er läßt sein rostiges
Szepter fallen,
Der Apfel der Weisheit
Und alle Kronjuwelen
Verfaulen.

Im brüchig rasselnden
Geißblattgeranke
Klopfet die Angst des Iltis
Und über dem Teiche
Zerbricht die Libelle
Wie tönendes Glas.

Nur die Zentauren
Im roten Barte
Sie rennen erfreut
Mit funkelnden Hufen
Die Hügel ab,
Und ihre Spuren
Verglimmen im Moose.

Es lösen die Blätter
Sich ab von den Stämmen
Wie wehe, wie wehende Hände;
Sie schichten unten
Ein kupfernes Grab
Den sterbenden Vögeln.

In den Ruinen
Der Vogelburg wohnt noch
Die nächtliche Eule
Mit großen Augen
Das Schicksal beleuchtend.

 

Schnee-Masken

Es hat der Schnee über Nacht
Meine Totenmaske gemacht

Weiß war das Lachen des Schnees
Und meinen Schatten verwandelt
Er in ein Fastnachtsgewand

Ein Sturm von goldenen Triangeln
Hat plötzlich die tönende Stadt
Gehoben aus all ihren Angeln

Im tausendjährigen Licht
Wurden die Türme der Zeit
Von ihren Ankern befreit

Der Schnee hat über Nacht
Mein Traumgesicht wahrgemacht

 

Stunden

Wasserträgerinnen
Hochgeschürzte Töchter
Schreiten schwer herab die Totenstraße
Auf den Köpfen wiegend
Einen Krug voll Zeit
Eine Ernte ungepflückter Tropfen
Die schon reifen auf dem Weg hinab
Wasserfälle Flüsse Tränen Nebel Dampf
Immer geheimere Tropfen immer kargere Zeit
Schattenträgerinnen
Schon vergangen schon verhangen
Ewigkeit

 

Der Salzsee

Der Mond leckt wie ein Wintertier das Salz deiner Hände,
Doch schäumt dein Haar violett wie ein Fliederbusch,
In dem das erfahrene Käuzchen ruft.
Da steht für uns erbaut die gesuchte Traumstadt,
In der die Straßen alle schwarz und weiß sind.
Du gehst im Glitzerschnee der Verheißung,
Mir sind gelegt die Schienen der dunklen Vernunft.
Die Häuser sind mit Kreide gegen den Himmel gezeichnet
Und ihre Türen bleigegossen;
Nur oben unter Giebeln wachsen gelbe Kerzen
Wie Nägel zu zahllosen Särgen.
Doch bald gelangen wir hinaus zum Salzsee.
Da lauern uns die langgeschnäbelten Eisvögel auf,
Die ich die ganze Nacht mit nackten Händen bekämpfe,
Bevor uns ihre warmen Daunen zum Lager dienen.

 

Der Staubbaum

Ein Staubbaum wächst
Ein Staubwald überall wo wir gegangen
Und diese Staubhand weh! rühr sie nicht an!

Rings um uns steigen Türme des Vergessens
Türme die nach innen fallen
Aber noch bestrahlt von deinem orangenen Licht!
Ein Staubvogel fliegt auf

Die Sage unsrer Liebe laß ich in Quarz verwahren
Das Gold unsrer Träume in einer Wüste vergraben
Der Staubwald wird immer dunkler
Weh! Rühr dieseStaubrose nicht an!

 

Die Gedichte Mond, Reise ins Elend und Trauermarsch wurden der Anthologie Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts (Einleitung von Gottfried Benn) entnommen, die im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen ist (sr 4, 1962). Die Gedichte Ode an den Herbst, Schnee-Masken, Stunden, Der Salzsee und Der Staubbaum stammen aus Deutsche Gedichte von 1900 bis zur Gegenwart, herausgegeben von Fritz Pratz (erweiterte Neuausgabe, Fischer Taschenbuch Verlag 1971).

Zusammengestellt von Johannes Beilharz im August 2000.

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