Einige Gedichte von
Jakob van Hoddis
Aurora
Nach Hause stiefeln wir
verstört und alt,
die grelle, gelbe Nacht hat abgeblüht.
Wir sehn, wie über den Laternen, kalt
und dunkelblau, der Himmel droht und glüht.
Nun winden sich die langen
Straßen, schwer
und fleckig, bald, im breiten Glanz der Tage.
Die kräftige Aurore bringt ihn her,
mit dicken, rotgefrorenen Fingern, zage.
Morgens
Ein starker Wind sprang empor.
Öffnet des eisernen Himmels blutende Tore.
Schlägt an die Türme.
Hellklingend laut geschmeidig über die eherne Ebene der
Stadt.
Die Morgensonne rußig. Auf Dämmen donnern Züge.
Durch Wolken pflügen goldne Engelpflüge.
Starker Wind über der bleichen Stadt.
Dampfer und Kräne erwachen am schmutzig fließenden
Strom.
Verdrossen klopfen die Glocken am verwitterten Dom.
Viele Weiber siehst du und Mädchen zur Arbeit gehn.
Im bleichen Licht. Wild von der Nacht. Ihre Röcke wehn.
Glieder zur Liebe geschaffen.
Hin zur Maschine und mürrischem Mühn.
Sieh in das zärtliche Licht.
In der Bäume zärtliches Grün.
Horch! Die Spatzen schrein.
Und draußen auf wilderen Feldern
singen Lerchen.
Der Todesengel
I
Mit Trommelwirbeln geht der
Hochzeitszug,
in seidner Sänfte wird die Braut getragen,
durch rote Wolken weißer Rosse Flug,
die ungeduldig goldne Zäume nagen.
Der Todesengel harrt in
Himmelshallen
als wüster Freier dieser zarten Braut.
Und seine wilden, dunklen Haare fallen
die Stirn hinab, auf der der Morgen graut.
Die Augen weit, vor Mitleid
glühend offen
wie trostlos starrend hin zu neuer Lust,
ein grauenvolles, nie versiegtes Hoffen,
ein Traum von Tagen, die er nie gewußt.
II
Er kommt aus einer Höhle, wo
ein Knabe
ihn als Geliebte wunderzart umfing.
Er flog durch seinen Traum als Schmetterling
und ließ ihn Meere sehn als Morgengabe.
Und Lüfte Indiens, wo an
Fiebertagen
das greise Meer in gelbe Buchten rennt.
Die Tempel, wo die Priester Zimbeln schlagen,
um Öfen tanzend, wo ein Mädchen brennt.
Sie schluchzt nur leise, denn
der Schar Gesinge
zeigt ihr den Götzen, der auf Wolken thront
und Totenschädel trägt als Schenkelringe,
der Flammenqual mit schwarzen Küssen lohnt.
Betrunkne tanzen nackend
zwischen Degen,
und einer stößt sich in die Brust und fällt.
Und während blutig sich die Schenkel regen,
versinkt dem Knaben Tempel, Traum und Welt.
III
Dann flog er hin zu einem alten
Manne
und kam ans Bett als grüner Papagei.
Und krächzt das Lied: »O schmähliche Susanne!«
Die längst vergessne Jugendlitanei.
Der stiert ihn an. Aus Augen
glasig blöde
blitzt noch ein Strahl. Ein letztes böses Lächeln
zuckt um das zahnlose Maul. Des Zimmers Öde
erschüttert jäh ein lautes Todesröcheln.
IV
Die Braut friert leise unterm
leichten Kleide.
Der Engel schweigt. Die Lüfte ziehn wie krank.
Er stürzt auf seine Knie. Nun zittern beide.
Vom Strahl der Liebe, der aus Himmeln drang.
Posaunenschall und dunkler Donner lachen.
Ein Schleier überflog das
Morgenrot.
Als sie mit ihrer zärtlichen und schwachen
Bewegung ihm den Mund zum Küssen bot.
Der Träumende
Blaugrüne Nacht, die stummen
Farben glimmen.
Ist er bedroht vom roten Strahl der Speere
und rohen Panzern? Ziehn hier Satans Heere?
Die gelben Flecke, die im Schatten schwimmen,
sind Augen wesenloser großer Pferde.
Sein Leib ist nackt und bleich und ohne Wehre.
Ein fades Rosa eitert aus der Erde.
Der Visionarr
Lampe blöck nicht.
Aus der Wand fuhr ein dünner Frauenarm.
Er war bleich und blau geädert.
Die Finger waren mit kostbaren Ringen bepatzt.
Als ich die Hand küßte, erschrak ich:
Sie war lebendig und warm.
Das Gesicht wurde mir zerkratzt.
Ich nahm ein Küchenmesser und zerschnitt ein paar Adern.
Eine große Katze leckte zierlich das Blut vom Boden auf.
Ein Mann indes kroch mit gesträubten Haaren
einen schräg an die Wand gelegten Besenstiel hinauf.
Weltende
Dem Bürger fliegt vom spitzen
Kopf der Hut,
in allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
und an den Küsten - liest man - steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden
Meere hupfen
an Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Es hebt sich ein
rosa Gesicht ...
Es hebt sich ein rosa Gesicht
Von der Wand.
Es strahlt ein verwegenes Licht
Von der Wand.
Es kracht mir der Schädel
Beim Anblick der Wand.
Es träumt mir ein Mädel
Beim Anblick der Wand.
O Wand, die in meine leblosen
Stunden starrt
Wand, Wand, die meine Seele mit Wundern genarrt
Mit Langeweile und grünlichem Kalk
Mein Freund. Meiner Wünsche Dreckkatafalk.
Soeben erscheint mir der Mond
An der Wand.
Es zeigt mir Herr Cohn seine Hand
An der Wand.
Es schnattert wie Schatten
Pretiös an der Wand.
Verflucht an der Wand!
Und heut an der Wand!
Was stehen denn so viel Leut
An der Wand?
Andante
Aufblühen Papierwiesen
Leuchtend und grün,
Da stehen drei Kühe
Und singen kühn:
»O Wälder, o Wolken,
O farbige Winde,
Wir werden gemolken
Geschwinde, geschwinde ...
In goldene Eimer
Fließt unser Saft.
In farbige Reimer
Ergießt unsere Kraft.
Wir stehen hier, im Chor
beisammen,
Auf knotigem Beine
Und die Kräfte der Erde sind
Angesammelt zu frohem Vereine.«
Sie bocken bei Tag und sie
trillern bei Nacht.
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