Max Jacob Einige Gedichte aus Le cornet à dés Deutsch von Johannes Beilharz
Die Bettlerin von Neapel Als ich in Neapel lebte, stand an der Tür meines Palastes eine Bettlerin, der ich stets vor dem Einsteigen in den Wagen Kleingeld zuwarf. Erstaunt, weil nie ein Dank kam, schaute ich die Bettlerin eines Tages an. Als ich sie so betrachtete, sah ich, daß das, was ich für eine Bettlerin gehalten hatte, ein grün angestrichener Holzkasten war, der rote Erde und einige halb verfaulte Bananen enthielt.
Das Opfer Abrahams Zur Zeit der Hungersnot in Irland sagte ein Anbeter leidenschaftlich zu einer Witwe: »Ein Schnitzel von Euch, meine Göttin!« »Nein!« sagte die Witwe, »ich möchte diesen Körper, den zu bewundern Sie die Gnade haben, nicht verunstalten.« Aber sie ließ ihren Sohn kommen und schnitt ihm ein schönes blutiges Stück aus der Schnitzelgegend heraus. Behielt der Junge eine Narbe zurück? Ich weiß es nicht; er heulte biblisch, als er ins Schnitzel geschnitten wurde.
Um die Bibel Trotz des Verbotes des Ewigen hatten die Fische des Baches Zedron das Bachbett desinfizieren lassen und starben. Die Kurtisane, die sich in der Nähe des zweckentfremdeten Baches aufhielt, machte dieses Bett zu dem ihren. Trotz des Verbotes des Ewigen aß sie einen Fisch. Da dieser Fisch jedoch desinfiziert war, starb sie.
Fabel ohne Moral Es war einmal eine Lokomotive, die so nett war, daß sie sogar anhielt, um Spaziergänger die Gleise überqueren zu lassen. Eines Tages rumpelte ein Automobil auf ihre eiserne Bahn. Der Fahrer sagte seinem Stahlroß ins Ohr: »Ist das eine gebührenpflichtige Verwarnung wert?« »Es ist noch jung«, sagte die Lokomotive, »und weiß es nicht besser.« Sie beschränkte sich darauf, ein bißchen verachtungsvollen Dampf auf den atemlosen Sportsfreund zu spucken.
Wahre Wunder Der gute alte Pfarrer! Nachdem er uns verlassen hatte, sahen wir ihn als Fledermaus über den See davonfliegen. Er war so in Gedanken versunken, daß er sich des Wunders nicht einmal bewußt war. Er war über die Nässe am Saum seines Talars erstaunt.
|
|
Diese Gedichte wurden
erstmals 1917 im Selbstverlag veröffentlicht.
Erneute Veröffentlichung bei Gallimard 1945. Grundlage für die Übersetzungen war: Max Jacob Copyright © der Übersetzungen Johannes Beilharz 2000. Zurück zum Übersetzungs-Index |