Frank O'Hara
Einige Gedichte
in deutscher Übersetzung von Johannes Beilharz
Jane, wach
Immer um neun, während du schläfst,
während du ganz unerklärlich auf Ponies
reitest, erblühen auf einmal die in deinen
Lidern verborgenen Opale wiedie blauen Blumen des Herbstes. Hellbraune
Locken fallen schmachtend hinein
in das gähnende Gummiband, und
deine Hand preßt all diesenaufständischen schwarzen Schlaf in
die ruhige Form des Tageslichts
und seine sonnige Nichtachtung
der glänzenden Spiralen! Oh,und die verrückten Walzer,
die wir nachts durchgleiten!
Vor Sonnenaufgang schallst du mit
geschlossenen Augen, ernst, unddein vulkanisches Fleisch verbirgt alles
vor dem Nachtwächter.
Die Ranken deiner Träume
strangulieren die vorbeirennenden Polizisten,die zu langsam sind, um dir zu entkommen,
den rasend-schwindelhaften Wellen
deiner gemurmelten Begehren. Doch
ist er des Tages Schutzheiliger,dieser Polizist, und du fragst ihn,
dich aus dem offenen Fenster lehnend,
welches Kleid du anziehen sollst, und wie
dein Haar bescheiden hinkämmen,denn das ist jetzt deine Laune.
Nur zufällig auf den Stufen stolpernd
wiederholst du den Tanz, und
dann, inmitten der vollkommenen Vielheitmilder, makellos verkleideter weißer,
schwarzer, rosiger, blauer, safrangelber
und goldener Stimmungen, finden wir
die nächtliche Wilde, in einer Trance."Jane Awake"
Für Grace, nach einer Party
Du weißt nicht immer, was ich fühle.
Gestern nacht, in der warmen Frühlungsluft, während
ich eine blitzende Tirade gegen jemand losließ, der mich
nicht interessiert,
war es Liebe für dich, die mich
entflammte,
und ist das nicht seltsam? denn in Räumen voller
Fremder winden sich meine zartesten Gefühle
und tragen
die Früchte des Geschreis. Streck die Hand aus,
ist da nicht
ein Aschenbecher, ganz plötzlich? da neben
dem Bett? Und jemand, den du liebst, betritt den Raum
und sagt, hättest du
die Eier heute nicht lieber mal
etwas anders?
Und wenn sie dann ankommen, sind es
ganz normale Rühreier, und das warme Wetter
hält an."For Grace, after a Party"
Heute
Kängurus, Glasperlen und Milkshakes!
Ach wie schön Ihr seid! Perlen,
Mundharmonikas, Gummibären, Aspirintabletten! das
ganze Zeug, über das wir immer reden,ist in einem Gedicht noch immer etwas Neues!
Diese Dinge umgeben uns jeden Tag
sogar am Strand und auf dem Sterbebett. Sie
bedeuten etwas. Sie sind wahre Felsen."Today"
Autobiographia literaria
Als ich ein Kind war,
spielte ich ganz allein
in einer Ecke
des Schulhofs.Ich haßte Puppen und ich
haßte Spiele, die Tiere
waren nicht freundlich, und die Vögel
flogen weg.Wenn irgendwer nach mir
suchte, versteckte ich mich hinter
einem Baum und schrie "ich bin
eine Waise".Und hier bin ich, die
Ausgeburt aller Schönheit!
Autor dieser Gedichte!
Unglaublich!"Autobiographia literaria"
An einen Dichter
Ich bin nüchtern und fleißig
und wäre gern für eine kleine Weile
einfach und noch einfacher,
bis mein Rokoko-
Selbst sich seiner Distinktion
weiter versichert hat.
Also magst du meine
neuesten Zeilen nicht, die ich auf die Seiten
russischer Romane schrieb, weil ich dabei nicht über
meine normale Kindheit nachgegrübelt habe?
Du ärgerst dich,
weil ich das weißhaarige Malergenie schöner
finde als die stammelnde Lebhaftigkeitdeines
Temperaments. Und tatsächlich,
unsere Beziehung entwickelt sich immer mehr
zu etwas Schwarz-Weißem,und wenn der Arzt mich aufsucht,
sagt er: "Alle Dinge nur in Ideen",
oder jemand hat es im Stadtpark
mit angehört,
jetzt, wo ich endlich von meiner Couch aufgestanden bin."To a Poet"
Die Muse als dämonische Geliebte
Einst, im Herbst, um Mitternacht,
wachte ich mit einem Schrei auf; da war ein Schein!er brannte auf der Bettdecke, die
Wände keuchten vor Erregung!ein Bild fiel von der Wand! und eine Collage
schälte sich und war ein Waldboden! Es warein Engel! war ich zu einem Schmetterlings-
ball eingeladen? wollte ich in meinem eigenen Film mitspielen?Er blinzelte und nahm mich an der Hand:
"Max Ernst erwartet uns." "Oh Ungeduld!"rief er. Er hob die Schultern und saß
teilnahmslos auf meiner Schreibmaschine. Das Licht gingaus. "Que manges-tu, belle sphinx?"
kam's brüllend durch die Dunkelheit; beau!murmelte ich und versteckte meinen Kopf, doch
weckte mich ein gewalttätiger Kuß wieder auf mit einem"Suis-je belle, ô nausée?" Wir tanzten
im Licht, der Engel und ich, sangen"Alle engelhaften Spitzköpfe rutschen zu
dir hin"; oh, ich wollte diesen Engel nie mehrlassen! Aber ernst sagte er zu mir "Ich muß
mir eine Semmel holen." Meine Füße erblindeten.Des Engels Stimme rief fröhlich: "Als
da sind Glaube, Hoffnung und Wohltätigkeit, unddas Allergrößte ist eine Moralpredigt. Ich
bin ein Engel. Trouvez Hortense!""The Muse Considered as a Demon Lover"
Romanze, oder die Musikstudenten
l
Der Regen, sein winziger Druck
auf deiner Kopfhaut, wie Ameisen,
die in einen Tabakstand hineingehen.
"Hallo!" rufen sie, und ihre
Nasen glänzen. Sie summen
ein Scherzo von Tscherepnin.
Sie tragen Geigenkästen bei sich.
Mit ihren Antennen, die über ihren
Köpfen die blaue Luft stricken,
erscheinen sie an der Tür des
Konservatoriums und schreien "Ah!"
zum Honig seiner Ergüsse.
Sie stehen auf der Straße und hören
den Käse, der oben auf der Milch
der Konservatoriumstüren treibt.2
Sie hatten gedacht sie wären auf
Hawaii, als die vor Nächtlichkeit
zitternden Kiefern sie plötzlich
aus ihrem Zischen herausrüttelten.
Die Brandung war voller Ausleger,
die wie Schlitze in den Augen
der Sonne dahinrasten, und doch war
die Brandung voller schwarzer Stämme,
die auf- und niedertauchten, und
dann war die Brandung voller Nadeln.
Die Brandung war fad und weiß,
so weiß wie Kiefern,
wenn im Paradies einmal kein Wind weht.3
Am Sonntagnachmittag um halb fünf
hörten sie sich in Ann Arbor ein Orgel-
konzert an: Messiaen, Hindemith, Czerny.
Und eine donnernde Stimme sprach in ihren Ohren
"Wenn wir große Musik haben wollen,
müssen wir sie kommissionieren; um
große Musik zu kommissionieren,
müssen wir großartige Kommissionäre haben."
Dann ein Knall! und der Sommer war vorbei.4
Rienzi! Ein Hase sitzt in der Hecke!
es ist ein brauner Stein! es ist der Monat
Oktober! es ist ein orangeroter Fagott!
Seit achtundvierzig Stunden stehen sie schon
auf diesem Berg, ohne zusammenzuzucken.
Na, es sind Soldaten, glaube ich,
und alles defiliert großartig vorbei."Romanze, or the Music Students"
Spleen
Ich weiß so viel
über alles Mögliche, ich akzeptiere
so viel, es ist
zum Kotzen. Und die
Schäbigkeit dessen, was ich
über andere weiß,
und darüber,
was sie tun, ernährt
mich, und daß ich
so viel akzeptiere, daß ich mich
dafür hasse, als ob ich
nicht wüßte, was
es mir bedeutet.
Ich weiß, was es ihnen
bedeutet, und hasse es."Spleen"
The Selected Poems of Frank O'Hara
Edited by Donald Allen
Vintage Books, A Division of Random House, New York, 1974Umschlagbild:
Collage von Larry RiversWeitere Gedichte von Frank O'Hara (aus Poems Retrieved)
Frank O'Hara wird, wie auch John Ashbery, Barbara Guest, James Schuyler, Kenneth Koch, Ron Padgett, Harry Mathews, Peter Schjeldahl und andere, als der Gruppe der New York Poets zugehörig betrachtet.
Copyright © der deutschen Übersetzung Johannes Beilharz 1983/2000.
Übersetzungen von John Asbhery, James Schuyler, Kenneth Koch, Barbara Guest, Harry Mathews, Peter Schjeldahl
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