Fünf Gedichte

von José F.A. Oliver

 

Amsterdam im regenruf, ein epitaph

wie zärtlichkeiten
ins vergessen/ häuserzeilen
in de Pijp – wirft lichtstreu
schemen aufs trottoir/ die räder
nackt in stellung

die speichen fächern
zeit zurück – an eine mitte
um ein fenster/ der regenwind
septemberwärts radiert der stadt
Goyescas

skizziert die luft-
gravur Caprichos, getränkt
in aquatinta
die augen herbsten unter-
schlupf/ ein fahrrad hingestolpert

mit wundgeschürftem
knie der sommer – war auf dem sims
vergangen/ die mutter
brach oregano/ der vater
roch nach meertau

im dämmerwetter
Amsterdam/ zieht haut
das kopfsteinpflaster/ verinnert
jenen sommertag/ die mutter
bricht oregano/ das kind

sagt "rosmarin" –
und stürzt
im speichenkreuz der vater//

sein tod
liegt unterm meertau

Für G. in Zeiten der Trauer

 

 

Amsterdam, taganbrechend

vogels luftruder beten, das vertäute seelenboot treibt
glast aufgesplitterte abwesenheit nach vom kai ragt
möwenschlägig junikunft (julei?) der frühen vögel
aus dem stimmenschwarm helle
regenzittrige noch der sonne, sie
durchgesickert aufs druckerschwarze
ausgebiet, erdlese der gräber, sie
wortsamen streuend und haut-
wärmere gegend auf die nacht-
verbrachten straßen: aus-
wuchernde leibklärungen, zu sagende,
die teerten das verlungerte gefieder
den beutenden nervennacken
zum gehorteten bündel scheitern, sie
atemschneisen hauend, filigranes lächeln,
den strauß wacholderblüten und schmelze
der eisblumen ins beet verinnerungen
der poren, lebenswürfige, jetzt altert
hunger das versteck hinterm fenster
schmiegt vorsommer ein, junger, sömmert
dies spürkörperliche des wortes
wie schleichende katzen-
bewegungen wie raubtiers instinkt
die streifenden finger spannen
über luftaltäre den sehnenbogen ur-
stille, fließt (aufgeborstener lichtguß)
tag ins durchlässig himmelgeblaute kämmt
ganz samtenes dämmern und ahnung ganz
unberechenbar berührtes luftholen wie
vom meeresgrund geborgen und gerettet
zur luft

 

 

"Denke daran, daß ich auch Rose bin"

1

blüht die weiße
rose mein laken

öffnet das weiße
laken mein fenster

kehrt das weiße
fenster zur nacht

empfängt die weiße
nacht mir luna

wie kaltes fieber
der mond danach

2

dies nüchterne blau
die schweigende hand

ergießt sich stille
das lippenpaar

3

die mondin war
scheues olivengesicht
seidener hain
dein haar

4

blaue rose
matrosin der nacht
die mondin streut falten
mond dem schoß

ich erde ein
den geruch

5

so kämmen wir lippen
die münder fort
erneut die hände
haarpfade lang
unsere schieren körper bloß
bewelken die mondin die rose

 

 

dritter jänner, ein spaziergang

das jahr ist bereits not-
gewürfelt/ 3 augen

zählt der kalender
die freudenspur der kinder

im schnee/ holunder zeisig
amselzittern

 

 

heimkehr, traueratem

einen augenblick einsamer
atmet oleander
vor dem gittertor jasmin
einen augenblick einsamer
atmet
der zikadensang
einen augenblick einsamer
kindstage aus
ganz abgeschiedener sommer
ganz nachtgeborene notkunft
ganz luftgewobene trauer

das grab zum dichten nah

 

Amsterdam im regenruf, ein epitaph und Amsterdam, taganbrechend: aus José F.A. Oliver, Fernlautmetz, Lyrik, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2000 (auch Bestandteil von Fernlautmetz, CD, FenderTon, Stuttgart 1999). "Denke daran, daß ich auch Rose bin", dritter jänner, ein spaziergang und heimkehr, traueratem: aus José F.A. Oliver, austernfischer, marinero, vogelfrau, Lyrik, Verlag Das Arabische Buch, Berlin 1997.

Alle Copyright © José F.A. Oliver 1997-2000.

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