Pierre Reverdy

Einige Gedichte aus Sources du vent

übersetzt von Johannes Beilharz

 

Geschichte

Ein rückwärts geschriebener Buchstabe
Die Hand am Kopf vorbeigeführt
Und die Zeit
Um die man morgens aufsteht
Rostige Sonne
Geschmolzenes Glas
Stilleben
Der Luftzug schließt meine Tür
Und die Träume haben mich aufgeweckt

Da ist noch eine Kerze die brennt

(Histoire)

 

Raum

                             Entwichener Stern
                             Gestirn in der Lampe
Die Hand
hält die Nacht
an einem Draht
                                    Der Himmel
                                    hat sich auf
                                    Dornen gelegt
Blutstropfen klatschen an die Wand
                             Und der Abendwind
                             entspringt einer Brust

(Espace)

 

Licht

Mittag
Der Spiegel gleißt
Die Sonne an der Hand 
                                      Eine Frau betrachtet
ihre Augen
                      Und ihr Leid
Die Wand gegenüber ist matt
Die Falten die der Wind in den Bettvorhängen macht
                                      Leichte Bewegung
Man kann in das Zimmer sehen
                      Und das Bild verblaßt
                           Eine Wolke zieht vorbei
                               Regen

(Lumière)

 

Von oben nach unten

Das Gewitter ist nahe
Ein Zweig neigt sich über das schlafende Auge
                           Ein toter Fisch
Das Wasser dehnt sich
                   Jemand tritt aus der Tür
Da oben könnte man ein Wort lesen
Das Zimmer ist voll warmer Luft
                                 Was fällt
Der Regen
Tränen von jedermann
Ein Blitz leuchtet
Der Himmel öffnet sich einen Spalt
                            Lachen
Es ist der gespaltene Kopf eines Mannes der seufzt

(De haut en bas)

 

Reise

Am Morgen
                     Wenn das Pendel schneller schwingt
Das leuchtend goldene Zifferblatt läuft
                           Welche Freude
Abfahrt von hier
                     Da unten
Ein Staubstrahl
                     Der Zug wird nicht auf uns warten
Schau vom Wagen aus den Dokumentarfilm an
Und das Vergnügen
                     Die Unermeßlichkeit spannt sich
Du bist traurig
Die Bäume sind unbeweglich wie noch lebende Greise
Der Abend bricht herein man hat Angst vor dem Alleinsein
Das Licht zum Leben
Und die Nacht rückt an uns heran
     Wir sind dem ernsten Leben näher
Wenn man aufsteht wird einem kälter
Man sieht besser
     Der Geist verengt sich
     Das Herz verkriecht sich
Das dünne Glas ist zerbrochen
Bei Ankunft den Weg vergessen
Hinter der Absperrung wo sich das Haus öffnet
Abends beim Einschlafen tritt man in die Welt ein
                            in der man nichts mehr ist
Ein paar Stunden mehr um nicht mehr zu sein

(Voyage)

 

Diese Gedichte wurden erstmals 1929 veröffentlicht.
Grundlage für die Übersetzungen war:

Pierre Reverdy
Sources du vent
précédé de La balle au bond
Préface de Michel Deguy
Poésie/Gallimard 1971

Copyright Ó der Übersetzungen Johannes Beilharz 2000.

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