RAFAEL ALBERTI
MATROSE AN LAND
Wenn meine Stimme an Land stirbt,
bringt sie hinunter ans Meer
und laßt sie mir am Strande.
Bringt sie hinunter ans Meer
und ernennt sie zum Kapitän
auf einem weißen Kriegsschiff.
Oh, meine Stimme mit dem
großen Seemannsorden!
Über dem Herzen ein Anker
und über dem Anker ein Stern
und über dem Stern der Wind
und über dem Wind das Segel!
AUFFORDERUNG
Im Erlenschatten, Liebste,
im Erlenschatten, nicht.
Unter der Pappel, ja,
dem Weiß und Grün der Pappel.
Weißes Blatt du,
grünes Blatt ich.
DIE QUELLEN WAREN AUS WEIN
Die Quellen waren aus Wein.
Die Meere, aus lila Trauben.
Du wolltest Wasser.
Die Hitze stieg zum Bach
herab. Der Bach war aus Most.
Du wolltest Wasser.
Es fröstelte der Stier. Das Feuer
war aus schwarzem Muskateller.
Du wolltest Wasser.
(Zwei Strahlen von süßem Wein
sprangen aus deinen Brüsten.)
GETÄUSCHT HAT SICH DIE TAUBE
Getäuscht hat sich die Taube.
Sie hat sich getäuscht.
Um nach Norden zu fliegen, flog sie nach Süd.
Sie glaubte der Weizen sei Wasser.
Sie hat sich getäuscht.
Sie glaubte das Meer sei der Himmel,
die Nacht sei früher Morgen.
Sie hat sich getäuscht.
Die Sterne seien Tau,
die Hitze Schneegestöber.
Sie hat sich getäuscht.
Dein Rock sei deine Bluse,
in deinem Herzen sei ihr Nest.
Sie hat sich getäuscht.
(Sie schlief am Ufer. Du
auf der Spitze eines Zweiges.)
EINLADUNG ZU EINER REISE IN TÖNEN
Rameau: Menuett
Auf bald, Blume.
Bis später, Lachen.
Gute Nacht, Anmut.
Wind, guten Tag.
Wenn du mir die Blume gibst,
geb ich dir das Lachen.
Bis später, Anmut.
Auf bald. Wind.
Wenn du mir die Anmut gibst,
geb ich dir den Wind.
Gute Nacht, Blume,
Rose, guten Tag.
Auf bald, Anmut.
Bis später, Wind.
Henry Purcell: Irische Weise
Komm, Nordwind,
zum Tower von London,
denn im Tower von London
meine Dame
verloren, verloren.
Höher, immer mehr,
pfeife, Wind vom Meer.
Brenne, Nordwind,
dunkel auf den Feldern,
denn im Tower von London
meine Dame
weint, sie weint.
Stärker, immer mehr,
schneide. Wind vom Meer.
Weine, Nordwind,
wütend durch den Himmel,
denn im Tower von London
meine Dame,
sie stirbt, sie stirbt.
Trauriger, immer mehr,
wache. Wind vom Meer.
Ernesto Halffter: Tanz der Hirtin
Wach auf! Auf! Es ist Zeit.
Kastilien macht sich zum Tanz
der Hirtin für dich bereit.
*
Aus den kalten Ebenen
ruft mich der Wind.
Wie die Türme sterben
so sterbe ich.
Aus den kalten Ebenen,
Türme von Avila,
tanz ich, wie die Türme,
ohne Hoffnung.
Wie die Türme steig ich hoch,
falle und mach mich klein,
aus den kalten Ebenen
und nur aus dem Traum.
Wie die Türme allein,
wie die Türme,
ohne Vieh, ohne Hunde
und ohne Hirten.
Aus: Rose aus Asche, spanische und spanisch-amerikanische Lyrik seit 1900, herausgegeben und übertragen von Erwin Walter Palm, R. Piper & Co. Verlag, München, 1955.