NICOLÁS GUILLÉN
SENSEMAYÁ
Lied um eine Schlange zu töten
Mayombe bombe mayombé!
Mayombe bombe mayombé!
Mayombe bombe mayombé!
Die Schlange hat Augen wie Glas,
sie kommt und schlingt sich um einen Ast,
mit ihren Glasaugen um einen Ast,
mit ihren Augen wie Glas.
Die Schlange geht ohne Pfoten,
die Schlange verbirgt sich im Gras,
sie geht und verbirgt sich im Gras,
sie geht ohne Pfoten!
Mayombe bombe mayombé!
Mayombe bombe mayombé!
Mayombe bombe mayombé!
Du gibst ihr eins mit der Axt und sie stirbt:
gib ihr drauf!
Gibs ihr nicht mit dem Fuß, denn sie beißt,
nicht mit dem Fuß, sie geht durch!
Sensemayá, die Schlange,
Sensemayá!
Sensemayá, mit ihren Augen,
Sensemayá!
Sensemaya, mit ihrer Zunge,
Sensemayá!
Sensemayá, mit ihrem Maul,
Sensemayá!
Die tote Schlange kann nicht fressen,
die tote Schlange zischt nicht mehr,
sie kann nicht gehn,
sie läuft nicht mehr!
Die tote Schlange kann nicht sehn,
die tote Schlange trinkt nicht mehr,
sie kann nicht japsen,
sie beißt nicht mehr!
Mayombe bombe mayombé!
Sensemayá, die Schlange ...
Mayombe bombe mayombé!
Sensemayá, sie ist still ...
Mayombe bombe mayombé!
Sensemayá, die Schlange ...
Mayombe bombe mayombé!
Sensemayá, sie ist tot!
LIED DER NEGERTROMMEL
Das ist das Lied der Negertrommel:
Noch die feinsten Leute hier
reagieren, wenn ich rufe.
Die Einen sagen: »Ja, sofort!«
Die Andern: »Gleich. Ich komme schon!«
Aber mein heiserer Wirbel ruft
die Neger und die Weißen heraus.
Und alle tanzen im selben Takt,
die, die außen schwarz sind und die Schwarzen-von-Innen.
Es ist nicht die Sonne, es kommt aus dem Blut,
denn bei dem, der nicht schwarz ist wie die Nacht,
ist die Finsternis innen ausgebrochen.
Noch die feinsten Leute hier
reagieren, wenn ich rufe.
Auf dieser gemischten Erde
aus Spanien und Afrika
die heilige Barbara auf einer
und auf der andern Seite der Gott Changó
ist immer ein Großvater zu wenig
oder ein spanischer Don zu viel.
Und es gibt kastilischen Adel
mit Verwandten in Bondó.
Laßt uns lieber ruhig sein, Freunde,
und nicht an der Frage rütteln.
Denn wir kommen von weither,
und wir machen stets ein Paar.
Noch die feinsten Leute hier
reagieren, wenn ich rufe.
Es gibt Leute, die mich beschimpfen,
aber nicht aus ganzem Herzen.
Es gibt Leute die auf mich spucken
öffentlich, und mich heimlich küssen.
Denen sage ich:
»Mein
Lieber,
Du wirst mich schon um Verzeihung bitten,
Du wirst schon aus meinem Teller essen,
Du wirst schon sehen, daß ich recht behalte,
Du wirst schon auf mein Fell einschlagen,
Du wirst schon nach meiner Stimme tanzen,
Du wirst schon Arm in Arm mit mir gehen,
Du wirst schon dahinkommen, wo ich bin!
Du wirst schon von unten nach oben kommen,
denn wer ganz oben ist, bin ich!«
Aus: Rose aus Asche, spanische und spanisch-amerikanische Lyrik seit 1900, herausgegeben und übertragen von Erwin Walter Palm, R. Piper & Co. Verlag, München, 1955.