Gedichte von

James Schuyler

 

in deutscher Übersetzung von Johannes Beilharz

 

 

Was

Was ist in den Pillen drin?
Nach dem Mittagessen und ich
kann kaum die Augen aufhalten.
Ach, ich brauche jemand, mit dem ich
über Trivialitäten reden kann.
Sogar ein Hund wäre mir recht.

Warum hämmern sie draußen
auf Eisen rum? Und was ist
das für ein Generator, dessen
heftiges gewalttätiges Summen
zum Fenster hereinkommt? Was
ist sowieso ein Gedicht?

Die Glockenblume, die Erika
und die Freesien, sie alle
reden mit mir. Ich antworte
wie der Heilige Franziskus
und der Wolf von Gubbio.

(What)

 

Februar

Ein Kamin, der ein bisschen Rauch ausatmet.
Warum erzeugt die Sonne
nur ein wenig Rosa,
das ich vor lauter Blau kaum sehen kann?
Das Rosa von fünf Tulpen
um fünf Uhr morgens am Tag vor dem ersten März.
Das Grün der Tulpenstengel und -blätter
wie etwas, an das ich mich nicht erinnern kann,
ein nach langer Zeit und weit weg
wiedergefundener Feuerkolben. *
Damals war es natürlich Dezember
und die Sonne lag auf dem Meer,
bei den Tempeln, die wir besuchten.
Eine grüne Welle bewegte sich im violetten Meer
wie das UNO-Gebäude an großen Abenden,
grün und nass,
während sich der Himmel violett färbt.
Einige wenige Mandelbäume
hatten wenige Blüten, wie ein paar Schneeflocken
ins Blaue hinein, rosa in diesem Licht.
Ein graues Verstummen,
in dem die schachtelförmigen Lastwagen die Second Avenue
hinaufrollen,
in den Himmel hinein. Sie verschwinden eben
hinter dem Hügel.
Die grünen Blätter der Tulpen auf meinem Schreibtisch
wie Gras leicht auf Fleisch
und ein grüner Kupferkirchturm
und Wolkenstreifen, die zu glühen anfangen.
Ich kann mich nicht genug darüber wundern,
wie das alles zusammenpasst,
wie eine Frau, die gerade ans Fenster getreten ist
und am Fenster steht und es ausfüllt
und das Baby in ihren Armen wiegt.
Sie ist so weit weg. Ist es das Licht,
das das Baby rosa färbt?
Ich kann die kleinen Fäuste sehen
und die Schaukelpferdbewegung ihrer Brüste.
Es wird immer grauer und golden und kühl.
Zwei hundegroße Löwen stehen sich an den Ecken
eines Hausdaches gegenüber.
Es ist der gelbe Staub in den Tulpen.
Es ist die Form einer Tulpe.
Es ist das Wasser im Glas, in dem die Tulpen stehen.
Es ist ein Tag wie jeder andere.

* Jack-in-the-pulpit, lat. Arisaema triphyllum, im Osten der Vereinigen Staaten beheimatete Pflanze.

(February)

 

Ein Treffen

Woche um Woche glitt vorbei in der Villa St. Clare ...
           HARRIET BEECHER STOWE

Du wirst von ihrem ersten Stock angetan sein
mit seinen Tapeten aus Blue Goose-Orangenhüllen.
Du wirst ihre Großmutter mögen.
Sie halten ihr Grab in Stand.
Vielleicht wirst du dich an sie gewöhnen, ja, sie sogar mögen.

(A Reunion)

 

Eine weiße Stadt

Meine Gedanken wenden sich nach Süden
eine weiße Stadt
du wirst in meinen Armen, ich in deinen aufwachen.
Ich erwache
und höre das Klopfen des Dampfes in den Heizungsrohren
wie ein metallenes Herz
und stelle fest daß es geschneit hat.

(A White City)

 

Krokusnacht

Das Feuer hatte sich meiner Hand entwunden
           SUSAN COOLIDGE

Die schweren Schirme
sind ihr Gewicht nicht wert.
Türen schwingen und schlagen zu,
von Windstößen abgebremst. Ein Flüsterer
strömt einen freundlichen Gestank aus.
Ein Höllengebräu!
und Höhlungen unter Wolken.
Dann färbt sich der Mond krokus.

(Crocus Night)

 

Guten Morgen

Morgen oder Herzbeschwerden. In
der Nacht hat es geregnet und
war neblig. Die Steige
sind dunkel davon, das Gras
ist fett davon. Resigniert
ziehe ich meine Spazierhosen aus
und Elefantenhäute an
oder Levis. Bitterer Kaffee.

Rae wendet sich mir zu und
gibt ihrem Zorn Ausdruck,
aber sanft, wie eine
sanfte Frau. Die Nachtschwester
meint es gut und redet
doch nachts laut im
Gang. Eine überreife
Banane. Ich muss
erst noch lernen,
meinen Zorn auszudrücken.

Wo immer ich bin, stapeln sich
Bücher. Constables Briefe, Balzac,
Afternoon Men. Es ist kühl
genug, das Fenster zu schließen. Ich
schließe es. Silbertag,
wie soll ich dich polieren?

(Good Morning)

 

Lied

Das Licht fällt in Schichten auf die Blätter.
Bäume, Bäume, noch mehr Bäume.
Ein Wolkenjunge bringt die Abendzeitung:
The Evening Sun. Sie geht unter.
Nicht scharf abgegrenzt oder abrupt;
ein gemächliches Fortschreiten den Himmel hinab
(er ist golden und rosa und schwach grün),
über und hinter den Abendblättern
der Bäume. Verkehrsgeräusche und
Glocken klirren silbern
der Stunde nach, eine Melodie, mein Freund
Pierrot. Die violette Stunde:
das Gras ist ungestüm grün.
Die Hängebuche ist grau,
die Blutbuche ist kupferrot.
Tennisnetze hängen unbenutzt
in unbenutzter Ruhe.
Ein Auto startet und
flüstert in die kurz bevorstehende Nacht davon.
Ein Tennisball wird abgeschlagen.
Eine Bremse verschwindet.
Eine rauchende Zigarette.
Ein Tag (so viele und so wenige)
stirbt einen gehärteten Himmel hinab
und Blätter sind im Schoß gehaltene Notizbuchseiten,
die sich im nicht mehr geschichteten Licht
kaum noch unterscheiden.

(Song)

 

Gruß

Vorbei ist vorbei, und man erinnert sich
daran, was man alles
tun wollte und nie tat; ist
denn der Gedanke nicht schon
genug? Wie ich zum
Beispiel vorhatte, eines
von jeder Art
zu sammeln: Klee,
Gänseblümchen, Braunwurz, die
auf der Wiese wuchsen,
in der die Hütte stand,
sie an einem Nachmittag zu
studieren, bevor sie verwelkten. Vorbei
ist vorbei. Ich grüße
jenes Feld der Vielfalt.

(Salute)

 

Zeitvertreib

Ich hebe einen vollen Füllhalter auf und spiele damit.
Nach dem Blizzard
kalte Tage und der Schnee schrumpft.
Zu Besuchszeiten stauen sich
die Autos unter meinem Fenster.
Ein Mann schneller Entschlüsse
befiehlt hier
und treibt die großen Maschinen
wie Vieh. Komischerweise
bleiben alle irgendwie in Bewegung. Ich lese
einen blöden Krimi. Ich
schneide mir die Nägel: sie sind hart
wie Eisen oder Glas. Die Schere
gleitet immer wieder ab. Heute
bin ich ganz zittrig. Rasieren, ein Bad nehmen.
Mich mit jemand unterhalten. Die Morgenzeitung.
Sitzen. Starren. Leer denken.
Fernsehen. Eine Wüstenart von Leben.

(Pastime)

 

Diese dunkle Wohnung

Als ich heute vom
Laden an der Ecke zurückkam,
sah ich das UNO-Gebäude
glänzen, und in all den
Monaten und Jahren, die
ich in diesem Apartment
gelebt habe, das ich
bezog, damit du und ich
uns treffen konnten,
habe ich nie bemerkt,
daß es in meinem Blickfeld war.

Ich erinnere mich sehr wohl
an den Morgen, als ich
hereinkam und dich im
Bett mit X. fand. Er zog sich
an und ging. Du zogst dich
auch an. Ich sagte: "Bleib
doch noch fünf Minuten da." Das
hast du auch getan. Du sagtest:
"So ist es halt." Es war
kaum eine Überraschung.

Dann nahm X. ein paar Speed-
pillen und stahl eine antike
Kommode und ein Kühlgerät usw.
Als er weg war und du
das Schloß gewechselt hattest,
fragte ich dich am Telefon: "Warum
bist du nicht mit deiner Frau
und mir zufrieden?" "Ich
bin anders konstruiert,"
sagtest du. Nicht überraschend.

Jetzt, ohne Gründe zu nennen,
hast du mich gehen lassen.
Du rufst mich niemals zurück,
du, der mich fast jeden Abend
anrief, als ich auf dem Land
wohnte. "Hat er dir nicht
gesagt, warum?" "Nein, und ich
glaube, er wird es mir auch
nie sagen." Adieu. Es ist
mysteriös und frustrierend.

Wie ich mir wünsche, du würdest
zurückkommen! Ich könnte dir
erzählen, daß, als ich in
der East 46th Street wohnte,
zuerst mit Frank und dann mit John,
wir eine herrliche Aussicht
auf das UNO-Gebäude und
die Beckmann Towers hatten. Nur
waren sie nicht meine Liebhaber.
Du ja. Du hast es gesagt.

(This Dark Apartment)

 

Stehen und zuschauen

Stehen und durch
den Nieselregen zuschauen,
wie der Nebel und die ferne
Kante des Teichs in eine
Gräue verschmelzen, in eine
entbläut zu nennende Farbe.

Stehen und zuschauen,
wie die Ahornblätter
fallen, leicht vom Nieselregen
getroffen, sich in der
Luft drehend, um da, nicht
ganz entfärbt, verstreut
liegen zu bleiben.

(Standing and Watching)

 

Quellen

Salute aus: Salute, Tiber Press, New York 1960
February, A Reunion, A White City, Crocus Night aus: Freely Espousing, Doubleday/Paris Review Editions, New York 1969
Standing and Watching aus: Hymn to Life, Random House, New York 1974
What, Good Morning, Song, Pastime, This Dark Apartment aus: The Morning of the Poem, Farrar, Straus & Giroux, New York 1980

Copyright © der deutschen Übersetzung Johannes Beilharz 1983/2001.

James Schuyler: Einige Gedichte aus A Few Days
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